Künstliche Intelligenz im Bankenumfeld:
Von Challenger-Modellen bis zur Prüfung produktiver Hochrisikomodelle
Künstliche Intelligenz im Bankensektor – Ein Paradigmenwechsel
Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert zunehmend den Bankensektor. Während viele Institute den potenziellen Mehrwert erkennen, stehen sie vor erheblichen Herausforderungen: regulatorische Anforderungen, Datenschutz und die Integration in bestehende Prozesse. Seit der Einführung von leistungsfähigen KI-Modellen wie ChatGPT hat sich der Zugang zu KI-Technologien vereinfacht – und mit ihm die Möglichkeiten für Banken.
Von der Automatisierung administrativer Prozesse bis hin zu hochkomplexen Modellen für das Risikomanagement: KI-Anwendungen bieten enormes Potenzial. Besonders im Bereich der modellgestützten Risikobewertung und Compliance eröffnen sich durch den Einsatz von Machine Learning (ML) völlig neue Möglichkeiten.
In diesem Beitrag betrachten wir die Perspektiven dreier Institutionen auf den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) im Bankensektor. Grundlage hierfür sind die folgenden maßgeblichen Veröffentlichungen:
- dem Artificial Intelligence Act (AI Act) der Europäische Union (EU),
- dem Diskussionspapier der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA)
- Dem Prinzipenpapier „Big Data und künstliche Intelligenz“ der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
Am Ende des Beitrags entwickeln wir ein praxistaugliches Vorgehen für die Einführung von KI- und ML-Ansätzen in Risikomodelle von Banken und geben eine klare Empfehlung für deren Implementierung.
ML in der Bankenregulierung: Die EBA-Perspektive
Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) erkennt in Machine Learning (ML) eine wertvolle Ergänzung für interne Rating-basierte (IRB) Modelle zur Kreditrisikobewertung. ML bietet die Möglichkeit, bestehende Ansätze zu verbessern, die Vorhersagekraft zu erhöhen und gleichzeitig die Anforderungen an eine robuste Governance und Erklärbarkeit zu erfüllen. In ihrem Diskussionspapier (2021) und dem Folgebericht (2023) hebt die EBA mehrere zentrale Vorteile hervor:
1. ML als Challenger-Modell
Der Einsatz von ML als Challenger-Modell bietet Banken eine sichere Umgebung, um die Stärken und Schwächen bestehender IRB-Modelle zu analysieren.
- ML-Modelle ermöglichen automatisierte Prüfroutinen, die herkömmliche Modelle kontinuierlich evaluieren und auf Schwächen hinweisen können.
- Diese Herangehensweise schafft nicht nur Vertrauen in die bestehenden Modelle, sondern legt auch die Grundlage für eine schrittweise Einführung von ML in produktive Prozesse.
2. Optimierung der Modellvalidierung
ML-Modelle können durch ihre höhere Flexibilität und nicht-lineare Verarbeitung von Daten herkömmliche Schwächen traditioneller Ansätze adressieren:
- Sie identifizieren komplexe Zusammenhänge in den Daten, die mit linearen Modellen nur schwer zu erfassen sind.
- Durch den Vergleich von ML- und klassischen Modellen können Institute potenzielle Verzerrungen oder Fehlklassifizierungen frühzeitig erkennen und gezielt korrigieren.
- Diese Fähigkeit zur präzisen Analyse stärkt nicht nur die Modellvalidierung, sondern auch das Vertrauen der Aufsichtsbehörden in die Qualität der Modelle.
3. Automatisierte Compliance
Ein wesentlicher Vorteil von ML liegt in der Möglichkeit, regulatorische Anforderungen effizienter zu erfüllen:
- ML-Modelle können die Dokumentation von Modellentscheidungen weitgehend automatisieren und damit Zeit und Ressourcen sparen.
- Sie ermöglichen eine Echtzeitüberwachung von Modellen, um potenzielle Verstöße gegen regulatorische Vorgaben oder Schwellenwerte sofort zu erkennen.
- Insbesondere bei Meldepflichten im Bereich der Kreditrisikobewertung sorgt ML für eine erhebliche Entlastung, da Daten schneller und präziser aufbereitet werden können.
4. Herausforderungen und regulatorische Anforderungen
Trotz der zahlreichen Vorteile betont die EBA auch die Herausforderungen beim Einsatz von ML im Kreditrisikomanagement:
- Erklärbarkeit und Transparenz: Die Ergebnisse von ML-Modellen müssen für interne und externe Stakeholder nachvollziehbar sein. Methoden wie Shapley-Werte und LIME bieten hier praktikable Ansätze.
- Governance und Kontrolle: Die Integration von ML erfordert robuste Governance-Strukturen, um sicherzustellen, dass Modelle korrekt angewendet und überwacht werden.
- Schrittweise Einführung: Die EBA empfiehlt eine stufenweise Implementierung von ML-Ansätzen, beginnend mit Challenger-Modellen, um die Risiken zu minimieren.
Zusammengefasst sieht die EBA in ML-Techniken nicht nur eine Möglichkeit zur Verbesserung der Kreditrisikomodelle, sondern auch ein Instrument, um die Effizienz und Genauigkeit von Risikomanagementprozessen nachhaltig zu steigern. Banken sollten jedoch sicherstellen, dass der Einsatz von ML-Technologien mit den regulatorischen Anforderungen, insbesondere in Bezug auf Transparenz, Governance und Erklärbarkeit, im Einklang steht. Ein strukturierter und risikobasierter Ansatz ist hierbei essenziell.
Die Perspektive der BaFin: Prinzipien für den Einsatz von KI
Das Prinzipienpapier der BaFin zu Big Data und KI nennt spezifische Leitlinien für die Finanzbranche. Die wichtigsten Erkenntnisse:
1. Verantwortung der Geschäftsleitung
Die Geschäftsleitung muss eine klare Strategie für den Einsatz von KI entwickeln. Dazu gehören:
- IT-Kompetenz im Führungsteam.
- Eine Risikoanalyse entlang des gesamten Entscheidungsprozesses.
- Die Etablierung eines unternehmensweiten Model Risk Management Frameworks.
2. Datenstrategie und Governance
Qualität und Quantität der Daten sind entscheidend für die Modellgüte. Unternehmen müssen:
- Verfahren zur Sicherstellung der Datenqualität implementieren.
- Mechanismen zur Bias-Vermeidung etablieren.
- Datenschutzkonformität gemäß DSGVO gewährleisten.
3. Transparenz und Validierung
Algorithmen müssen reproduzierbar, robust und gut dokumentiert sein. Die Validierung sollte regelmäßig und unabhängig erfolgen, um die Verlässlichkeit der Modelle sicherzustellen.
4. Menschliche Kontrolle
Das Prinzip „Human in the Loop“ bleibt zentral. Menschliche Experten müssen in entscheidungskritischen Prozessen eingebunden sein, um Risiken zu minimieren.
Risikomodelle im Kontext des AI Acts
Mit dem AI Act hat die Europäische Union einen klaren regulatorischen Rahmen für den Einsatz von KI geschaffen. Die gestaffelte Einführung bis 2027 bringt umfassende Anforderungen für Hochrisiko-KI-Systeme, zu denen unter anderem auch IRB-Modelle gehören können. Die Einstufung von Risikomodellen als Hochrisiko-KI-Systeme im Rahmen des AI Act stellt Banken vor neue regulatorische Anforderungen, eröffnet jedoch gleichzeitig Chancen für eine systematische, transparente und sichere Modellimplementierung.
Regulatorische Anforderungen an Risikomodelle im AI Act
Der AI Act sieht für Hochrisiko-KI-Systeme strenge Vorgaben vor, die sich in folgende Schlüsselbereiche unterteilen:
1. Qualitätsmanagement und Dokumentation (Artikel 17)
- Banken müssen ein KI-spezifisches Qualitätsmanagementsystem etablieren, das sicherstellt, dass Modelle robust, zuverlässig und auditierbar sind.
- Eine detaillierte technische Dokumentation aller Risikomodelle ist erforderlich, um deren Struktur, Entscheidungsprozesse und Anpassungen nachvollziehbar zu machen.
- Die automatisierte Protokollierung von Modelländerungen gewährleistet Transparenz für interne und externe Prüfer.
2. Datenqualität und Bias-Kontrollen (Artikel 10)
- Repräsentative und fehlerfreie Daten sind essenziell für die Modellgüte. Verzerrte oder unvollständige Datensätze können zu unzuverlässigen Vorhersagen und diskriminierenden Ergebnissen führen.
- Banken müssen Mechanismen implementieren, um potenzielle Verzerrungen (Bias) in den Trainingsdaten frühzeitig zu erkennen. Dies umfasst:
- Statistische Methoden zur Bias-Erkennung
- Regelmäßige Überprüfung der Datenrepräsentativität
- Anwendung von Fairness-Metriken
3. Transparenz und Erklärbarkeit (Artikel 13)
- Hochrisiko-KI-Systeme, die zur Kreditrisikobewertung verwendet werden, müssen nachvollziehbar sein.
- Banken müssen Modellentscheidungen erklärbar machen – eine zentrale Herausforderung bei komplexen Machine-Learning-Algorithmen.
- Methoden wie SHAP-Werte, LIME oder Partial Dependence Plots können genutzt werden, um die Wirkung einzelner Faktoren auf die Modellentscheidungen zu visualisieren.
4. Risikomanagement und menschliche Aufsicht (Artikel 9)
- Ein kontinuierliches Monitoring der Modellperformance ist verpflichtend, um sicherzustellen, dass Risikomodelle auch nach der Implementierung zuverlässig funktionieren.
- Klar definierte Eskalationsprozesse müssen etabliert werden, falls Abweichungen oder unerwartete Verhaltensweisen auftreten.
- Die menschliche Kontrolle bleibt ein essenzieller Bestandteil des Risikomanagements. Automatisierte Entscheidungen dürfen nicht ohne menschliche Überprüfung getroffen werden.
Fazit: Chancen nutzen, Herausforderungen meistern
Die Integration von KI in Risikomodelle bietet Banken sowohl Chancen als auch Herausforderungen. Besonders relevant sind die folgenden Aspekte:
- Strukturierte Validierung: KI-gestützte Challenger-Modelle erlauben eine effiziente Überprüfung bestehender Risikomodelle.
- Datenmanagement: Eine integrierte Daten-Governance ist essenziell, um Verzerrungen in den Trainingsdaten zu vermeiden.
- Risikomanagement: Automatisiertes Monitoring ergänzt durch menschliche Kontrollmechanismen gewährleistet ein robustes Risikomanagement.
Die klare Dokumentation und Erklärbarkeit der Modelle schaffen Vertrauen bei Aufsichtsbehörden und ermöglichen eine langfristige Integration von KI in die Bankprozesse.
Chancen für Banken: Warum die Einstufung als Hochrisiko-KI-System auch Vorteile hat
Obwohl die Einstufung von Risikomodellen als Hochrisiko-KI-Systeme zunächst zusätzlichen regulatorischen Aufwand bedeutet, bietet sie Banken auch klare Vorteile:
✅ Rechtssicherheit: Die klaren Vorgaben des AI Acts schaffen einen einheitlichen regulatorischen Rahmen, der Unsicherheiten bei der Modellimplementierung reduziert.
✅ Verbesserte Modellqualität: Durch die strikte Dokumentations- und Datenqualitätsanforderungen profitieren Banken von stabileren und verlässlicheren Modellen.
✅ Erhöhte Akzeptanz durch Regulierungsbehörden: Transparente und erklärbare Modelle erleichtern die Kommunikation mit den Aufsichtsbehörden und können den Validierungsprozess beschleunigen.
✅ Nachhaltige Integration von KI-Technologien: Die systematische Einhaltung der Vorgaben des AI Acts ermöglicht eine langfristig tragfähige Nutzung von Machine Learning in Risikomanagement-Prozessen.
Wie Banken von KI profitieren können
Durch eine gezielte Implementierung von Governance-, Monitoring- und Erklärbarkeitsmechanismen können Finanzinstitute nicht nur die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, sondern auch die Qualität und Effizienz ihrer Risikomodelle verbessern.
Für die Implementierung von künstlicher Intelligenz und Machine Learning in Banken empfiehlt sich eine Drei-Phasen-Strategie:
- ML als Challenger-Modell in der Validierung – Erste Erfolge mit geringem Risiko.
- Schrittweise Integration in Produktivprozesse – Anpassung von Governance-Strukturen.
- KI als integraler Bestandteil des Risikomanagements – Automatisierte Compliance & Innovation.
Als spezialisierte Unternehmensberatung unterstützen wir Banken bei der regulatorisch konformen Implementierung von ML-Modellen – von der Strategieentwicklung bis zur nachhaltigen Integration in bestehende Prozesse.
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